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Bund für vereinfachte rechtschreibung (BVR)

presseartikel8.–10. 2003 → Die Rechtschreibreform – ein unnötiger dirigistischer Eingriff
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Vorwärts, die Schweiz!

„Die Rechtschreibreform – ein unnötiger dirigistischer Eingriff.“

Quelle: , , forum

Unter diesem Titel fand am letzten Donnerstag (11. 9. 03) in Zürich ein Anlaß statt. Eingeladen hatten das Liberale Institut und die Schweizer Monatshefte.
Das Liberale Institut ist eine einflußreiche Vereinigung von Persönlichkeiten aus Wirtschaft, Politik und Kultur. Im Vorstand sitzt z. B. der Feuilletonchef der NZZ. Adresse: www.libinst.ch
Im großen Saal der vornehmen Zunft zur Zimmerleuten saßen also Damen und Herren mit Gewicht; sie machten nachdenksame Gesichter und nahmen die Dinge auf, die ihnen vorgetragen wurden.

Zur Einleitung erklärte Robert Nef, Leiter des Instituts und Herausgeber der Monatshefte, er wisse aus seiner wirtschaftlichen und politischen Erfahrung, daß das Nachbessern verfehlter Regeln nichts tauge; insofern sei der Kampf gegen die mißglückte Reform ein im Kern liberales Anliegen.

Dann stellte Stirnemann das Thema vor und die Teilnehmer des Podiums, drei Männer des Worts. Unter ihnen habe Herr Dové, Chef-Korrektor der NZZ, die größte Verantwortung für die Sprache, jedenfalls nach Schopenhauer: „Ganz ernstlich muß ich nun aber hier zu bedenken geben, daß gewiß mehr als 9/10 der überhaupt lesenden Menschen nichts als die Zeitungen lesen, folglich fast unausbleiblich ihre Rechtschreibung, Grammatik und Stil nach diesen bilden.“

Pirmin Meier, Autor biographischer Romane, schrieb in seinem Buch über Heinrich Federer von einem Pianisten: „Er trug gelegentlich selbst vertonte Gedichte von Hermann Hesse und Heinrich Federer vor.“ Sind hier nach neuer Orthographie „selbstvertonte Gedichte“ gemeint, oder trug der Pianist in eigener Person vertonte Gedichte, also Lieder, vor? Stirnemann regte an, daß man künftig bei schwierigen Stellen die Telefonnummer des Autors abdrucke, damit die Leserschaft anrufen und nachfragen könne. - Primin Meier stellte im Podiumsgespräch klar, daß nicht „selbstvertont“ gemeint sei. Der Lektor habe ihm das deutlichere „selber“ als mundartlich verboten. –
Meier ist Autor des Verlags Amman; Amman gehört zu denen, die auf die neuen Regeln verzichten, - so war es am 31. Juli im Schweizer Radio zu hören, in einer Sendung mit dem Titel: „Die neue Rechtschreibung setzt sich nicht durch.“ -

Zu Reiner Kunze zitierte Stirnemann u. a. eine Äußerung des ostdeutschen Ministers für Kultur. Als Kunze darauf bestand, die Mitgliedschaft der Bayerischen Akademie anzunehmen, meinte der Minister: „Herr Kunze, dann kann Sie auch der Minister für Kultur nicht mehr vor einem Unfall auf der Autobahn bewahren.“

Warum nimmt der Dichter nach solchen Erlebnissen noch einmal den Kampf auf: und gar gegen ein Unternehmen wie die „neue“ Rechtschreibung? Danach gefragt, meinte Kunze: „Es geht um meine Sprache.“

Die erste Hälfte des Abend gehörte der „Aura der Wörter“. Dann leitete Robert Nef das Gespräch; auch die Zuhörer meldeten sich zu Wort: fast eine Stunde lang, und noch nach Schluß der Veranstaltung wurde manches besprochen.

Herr Dové erläuterte die Schwierigkeiten und die Haltung der NZZ. Übernommen habe die NZZ alle Regeln, die keine Bedeutungen veränderten,
z. B. „heute Abend“. Das unsinnige „morgen Früh“ erklärte Herr Dové als Eingehen auf das in Österreich übliche „die Früh“.
So folgten sich Äußerungen verschiedener Güte, und immer war es schön und bedeutsam zu sehen, wie aufmerksam Reiner Kunze auf alles einging und wie wichtig es ihm war, die Dinge ins rechte Licht zu rücken.
Beifall gab es selten (man war ja in der Schweiz); starken Beifall, als auf die FAZ hingewiesen und angeregt wurde, daß die NZZ ihrem Beispiel folgen solle.

Robert Nef kündigte auch die November-Nummer der Schweizer Monatshefte an. Der Arbeitstitel lautet: „Die deutsche Sprachverwirrung – Fehlkonzept Rechtschreibreform.“
Schweizer Sprachwissenschaftler und Juristen werden sich der Reform annehmen, und auch gute Namen aus Deutschland fehlen nicht: Reiner Kunze, Theodor Ickler u. a. Gespannt sein darf man auf den Artikel Horst Haider Munskes, der aus eigener Anschauung eine Erklärung dafür hat, warum so viel so schiefgegangen ist.
Das Heft wird demnächst auch im Internet zur Vorbestellung ausgeschrieben.

Nef übergab Reiner Kunze zum Schluß einen seltenen Band der großen Gottfried Keller-Ausgabe und versprach, daß die Monatshefte Kunzes Vorschlag zur Bereinigung der Lage in Riesenlettern abdrucken würden. – Der Vorschlag findet sich z. B. im Buch „Deutsch. Eine Sprache wird beschädigt.“

Was bedeutet dieser Abend? Es waren nicht allzu viele Hörer da: fünfzig. Aber man muß bedenken, daß die „neue“ Rechtschreibung in der Schweiz bisher kein Thema gewesen ist; das Alarmzeichen Eszett fehlt. Und man muß das Gewicht der Anwesenden und der Veranstalter betrachten.

Reiner Kunzs lange Reise nach Zürich hat sich gelohnt: Er hat hier mehr erreicht als vor größerem Publikum in München und Jena.

Am Freitag hat sich das St. Galler Tagblatt nach Zürich bemüht, um ein Gespräch mit ihm zu führen.

Daß das Liberale Institut und die Schweizer Monatshefte die Bedeutung der Sache erkennen, heißt nichts anderes, als daß die eigentliche Auseinandersetzung nun auch in der Schweiz beginnt. Es war auch Zeit. Die Reformer haben bis jetzt die „Gelassenheit“ hierzulande gelobt. Sie werden um ihre eigene Gelassenheit und Fassung ringen müssen.

Der Schweizer Alpenbüffel ist ein Tier, das man besser nicht reizt: buffalo alpinus Helveticus (pertinax). Jetzt klopft und scharrt er unruhig den Boden und schnaubt. Er ist nicht stur, er ist klug, wendig, ausdauernd: er hört erst auf zu kämpfen, wenn der Gegner vernichtet ist. Der Duden, der ihn aufhält, muß erst noch geschrieben werden.